Gesammelte Schriften: Band 2 Kultur, Ausdruck und Bild
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Berlin
J.B. Metzler
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adam_text | Kultur 46 2. „II te faut, pour gagner ton pain de chaque soir, / [...] jouer de l’encensoir, / Chanter des Te deum auxquels tu ne crois guère“. Baudelaire, La Muse venale Von diesen deutschen Verhältnissen inmitten des gesellschaftlichen Ge samtverhältnisses ist deutsche Presse der mehr oder weniger scharfe Reflex ֊ etwas wie die „Sagen der Zeit“6, ihr flüchtiger, nicht ihr theoretisch adäquater Begriff. Was darin zur prekären und doch in schlechter Un endlichkeit, alltäglich, sich wiederholenden Erscheinung kommt, ist der Widerspruch, dass, was in Deutschland - noch immer - an der Zeit wäre, zugleich der historischen Substanz nach verging. Die Herstellung bür gerlicher Freiheit, authentischer Liberalität in der substanziellen Gestalt garantierter demokratischer Freiheit, Legitimität und Legalität bleibt so ersehntes7 wie angesichts des wachsenden Dirigismus und Etatismus ohn mächtiges Desiderat. Das erste spiegelt die authentisch-liberale Presse wi der, das zweite die opportunistisch-liberale, also die verkappt-etatistische Presse, deren Macht darin liegt, dass sie mit dem Weltgeist ist, der ihr zugleich die liberalistische Ohnmacht demonstriert. Umgekehrt verhält es sich mit der authentisch-liberalen. Drückt sie die Ohnmacht heroisch aus, dann zeigt die rudimentäre nationalistische und faschistische Presse diese Ohnmacht als destruktive und kranke. Die provinzielle Presse sucht zwischen den Polen sich zu behaupten, stolpert je nachdem dem konser vierten nationalistischen Relikt, wo es sich noch zu formieren vermag, oder dem Dynamismus liberalistischer Opportunität
nach. Dem heroi schen Liberalismus korrespondiert eine wachsende linke Presse und vorab Gegenpresse, den wachsenden Einsichten gemäß, die über den Zustand 6 Georg Christoph Lichtenberg: Aphorismen, hrsg. von Max Rychner, Zürich 1947, S. 405. 7 Autoren wie Sonnemann haben dem Desiderat den bedeutenden Ausdruck gegeben. Cf. Ul rich Sonnemann: Das Land der unbegrenzten Zumutbarkeiten. Deutsche Reflexionen, Reinbek bei Hamburg 1963; Die Einübung des Ungehorsams in Deutschland, Reinbek bei Hamburg 1964; Institutionalismus und studentische Opposition. Thesen zur Ausbreitung des Ungehorsams in Deutschland, Frankfurt am Main 1968.
Oie Zeitungspresse als Produkt und als Produzent 47 und damit über die Presse und ihre Produktionsart selbst hinausdeuten. Im Ganzen ist im deutschen Zustand, wegen seiner gleichzeitigen Un gleichzeitigkeiten, wegen des historisch Unabgegoltenen und des doppel ten Wetterleuchtens darin ֊ des reaktionären wie des progressiven ֊ das gesellschaftlich prinzipiell Unerledigte wie in einem Focus konzentriert und eben damit die Chance, dass in seinem partikularen Ausdruck etwas vom historisch Unerledigten insgesamt sich ausdrückt und so, negativ und oblique, etwas vom Anderen und Besseren. Zumindest bezeugt sich dies - ähnlich wie im 19. Jahrhundert — in der progredierten Theorie, und in der Presse nur soweit, wie sie die Theorie ernstnimmt oder überhaupt emstnehmen kann. Denn dem Ernstnehmen sind drastisch Schranken gesetzt: Schranken im Medium selbst und Schranken politischer und öko nomischer Gewalt, welche das Medium zu dem erst machen, was es ist, und die seine Tauglichkeit für den Zustand konstituieren. Diese Tauglichkeit will besagen, dass auf die Presse in ihrer charakte ristischen neueren Gestalt in der gegebenen Gesellschaft nicht verzichtet werden kann, dass sie wie andere, den Zustand fristende Institutionen im gesellschaftlichen Reproduktionsprozess gebraucht und für diesen un abdingbar ist. Sie bildet einen konstitutiven Teil der gesellschaftlichen Verkehrsform, ist der entscheidende Kommunikations-Agent zwischen dem, was gesellschaftlich der Fall ist, und zwischen allen, die im gesell schaftlichen Commercium miteinander stehen. Wie die Zirkulationssphäre ist
aber auch die Kommunikationssphäre ֊ eine Erscheinungsweise jener - eine Schöpfung der Produktionssphäre und dieser gegenüber nur dem Schein nach selbständig. Die Kommu nikationssphäre ist zunächst Reflex der Produktionsbedingungen einer Gesellschaftsformation und wirkt dann erst auf diese wieder zurück. Das charakteristische Produktionsprinzip der neueren und weiter gegebenen Gesellschaftsformation beruht auf der Scheidung von Produktion und Produkt, von Lohnarbeit und Kapitalbildung, also auf jener Güterpro duktion, die, als Warenproduktion, Mehrwertschöpfung sein kann. Diese Trennung von Produktion und Produkt, bei der das Produkt Tauschwert charakter annimmt und sein Gebrauchswertcharakter ab, ist und bleibt auch für die literarische Produktion charakteristisch, zunächst sofern sie Presseproduktion ist. Anders gesagt: Die literarische Produktion ist un ter dem Gesetz der Warenproduktion dazu verhalten, Warenproduktion
48 Kultur von der Art der Presseproduktion zu werden. Die kapitalistische Gesell schaft schafft aus sich selbst die ihr gemäße Gestalt von Literatur und Publikation in der Presse. Diese gehört zu den Institutionen, von denen man, das Wort Voltaires variierend, sagen kann, dass, wo es sie noch nicht gäbe, sie erfunden werden müssten. Wie in der warenproduzie renden Gesellschaft der Markt erheischt ist, ist in ihr ebenso der Um schlagplatz geistiger Ware erheischt,8 geistiger Ware zunächst und we sentlich in der Gestalt aller der Meinungen, der Nachrichten, der In formationen der zum Commercium miteinander Verhaltenen, die sie an Ort und Stelle brauchen ֊ und wäre es auch aus Scheinbedürfnis. In dem Maß, wie die in bürgerlicher Gesellschaft miteinander Kommuni zierenden auf die Sozialcharaktere von Produzenten und Konsumenten, von Eignern und Verkäufern, von Agenten und Zuträgern, Bediensteten und Besorgern der bestehenden Reproduktionsordnung aller erdenkli chen und wirklichen Spielart reduziert sind, in eben dem Maß ist, wo r ύ βε r sie kommunizieren, auf seinen schieren gesellschaftlichen Charakter, aufs Mediale und Instrumentale reduziert. Dies bedeutet, dass aus his torischer literarischer Produktion als Selbstzweck literarische Produktion als Mittel,9 aus Epos, Roman, Erzählung erst Bericht - „Relationen“ hei ßen die ersten Zeitungen,10 - dann Information, schließlich Sensation wird.*11 So wie das Lesepublikum in eines sich verwandelt, das jetzt durch das Bedürfnis nach Information, die Neugier12 auf Sensation charakteri siert ist, hat andererseits das
literarische Produkt diesem Bedürfnis gemäß 8 Cf. Walter Benjamin: „Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“, in: ders., Schriften, hrsg. von Gershom Scholem u. Theodor W. Adorno, Band 1, Frankfurt am Main 1955, S. 418 f. 9 „Der Schriftsteller betrachtet keineswegs seine Arbeiten als Mittel. Sie sind Selbstzwecke [...]. Dem Schriftsteller“, der die Freiheit der Presse „zum materiellen Mittel herabsetzt, gebührt als Strafe dieser inneren Unfreiheit die äußere, die Zensur, oder vielmehr ist schon seine Existenz seine Strafe“ (Karl Marx: „Debatten über Preßfreiheit“, in: MEGA, Band 1, 1: Werke und Schriften bis Anfang 1844, Berlin 1932, S.222f). 10 Cf etwa: Die Relation desJahres 1609, in Faksimiledruck hrsg. von Walter Schöne, Leipzig 1940. 11 Cf. Walter Benjamin: „Über einige Motive bei Baudelaire“, in: ders., Charles Baudehire. Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus. Zwei Fragmente, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfurt am Main 1969, S. 117. 12 Cf Walter Benjamin: „Der Autor als Produzent“, in: ders., Versuche über Brecht, hrsg. von Rolf Tiedemann, Frankfhrt am Main 1966, S. 100. (Bei der zu vergleichenden Stelle handelt es sich um ein variiertes Selbstzitat aus Walter Benjamin: „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, in: ders., Schriften, Band 1,1. c., cf. S. 384.)
Die Zeitungspresse als Produkt und als Produzent 49 sich verwandelt und gibt ihm, was es zum Leben und Überleben in der Tauschgesellschaft nötig hat. Wie alles Bedürfnis in ihr durch charak teristische Produktions- und Gewerbsart befriedigt sein muss, so auch das geistige Bedürfnis: durch Schriftstellerei als Gewerbsschreiberei, Tag schriftstellerei - den Journalismus. Der Journalist ist insoweit die essenti elle Produktions- und Daseinsform des literarischen Produzenten unterm Kapitalismus. Er ist lohnabhängiger Arbeiter in den Produktionsstätten des Geistes - des Geistes in der dinglichen Gestalt der Ware -, also in den Zeitungsunternehmungen, den Presseverlagen. Diese sind Fabriken wie andere, geleitet von Inhabern der Produktionsmittel, konkurrenzfähigen Kapitalisten, die nach den Grundsätzen der Mehrwertproduktion renta bel und profitabel agieren müssen, wollen sie den Lebensgesetzen waren produzierender Gesellschaft genügen. Wie andere Produzenten werden die literarischen von ihnen gekauft, wird ihre spezifische Arbeitskraft von der Produktionsmaschinerie konsumiert, wird das resultierende Produkt im doppelten Sinne genutzt: als geistige Ware dem Bedürfnis über den Markt dargebracht und als Mehrwertschaffendes dem - konstanten wie dem variablen - Kapital des Eigners zugeschlagen. Die Käuflichkeit der literarischen Arbeitskraft hat hier die charakteristische Doppelbedeutung. Sie ist einerseits käufliche, disponible Marktwertgröße, die dem Verkäufer die Existenz fristet, und andererseits Korrumpierbarkeit, Disponibilität übers Geistige, vorab über die Meinung und
Gesinnung, die beim Jour nalisten ebenso käuflich wird wie seine eigentliche literarische Produkti onskraft. Beide werden zunehmend voneinander durchwirkt: nicht wer den von literarischer Produktionskraft am Ende auch Meinungen, In formationen, Kommentare neben anderem produziert, sondern die Produktionskraft selbst wird dergestalt spezialisiert ֊ und muss es wer den -, dass sie ganz und gar nur das erheischte spezielle Produkt her vorbringt: den Geist als Ware, - weil die Warenform selbst tyrannisch die vollständige Absorption aller an sie gewandten Arbeitskraft erheischt. In welchem Ausmaß dies geschieht, bezeugt längst auch d i e literarische Produktion, die außerhalb der journalistischen noch sich vollziehen kann und die erst in der Substanz zerfressen wird, schließlich die Produzen ten selber in den Warenproduktionsprozess hineinreißt, jenseits dessen sie von einem bestimmten Punkt an als dem Journalismus opponierende literarische Produzenten nicht mehr zu überleben vermögen. Dieser
50 Kultur Punkt scheint unterdessen mindestens bei einem Gros der Literaten er reicht. Wie die korrupte Gestalt des Menschen unterm Kapitalismus der Agent des Wertgesetzes, so die korrupte Gestalt des Schriftstellers der Journalist. Wie die korrupte Gestalt des Daseienden, der Dinge unter dem Kapitalismus die Ware, so die korrupte Gestalt des Geistes die Mei nung, die Information, das Geistige als Instrument und Mittel und nicht zugleich und wesentlich als Zweck. Es findet dem Wertgesetz sich subsu miert, statt dass es das Wertgesetz sich subsumiert, es kritisiert und sich anschickt, seine Herrschaft zu brechen. Allein das Wertgesetz ist umstandslos so wenig abzuschaffen wie ein Naturgesetz. Es muss sich wie dieses erfüllen. Der Organismus der bür gerlichen Gesellschaft muss unumstößlich sich entfalten, bis der Zustand seiner Reife seinen Untergang in der Verwandlung in eine neue Gestalt anzeigt, gesetzt, dass er zuvor nicht kristallin wird, gefriert und in sich selbst sich verewigt. Es rechnet gegenwärtig zu den wichtigsten Fragen, ob bürgerliche, warenproduzierende Gesellschaft an sich selbst zugrun degeht; ob dabei eine qualitativ neue Gestalt in ihrem Schoß sich regt; ob der Untergang Verwesung des gesellschaftlichen Körpers zusamt dem zu gebärenden Körper ist; ob der gegebene Zustand bei allem Verfall und allem Anzeichen des Neuen - und mit beidem zusammen - kris talline Formation und Figuration auf unabsehbare geschichtliche Zeit wird. Alles hängt für die Hoffnung und die Verzweiflung an gegenwärtiger Stelle von der Beantwortung dieser Frage ab und von der
theoretischen wie praktischen Anstrengung, mit der sie versucht wird. Die Phasen des Entfaltungsprozesses warenproduzierender Gesell schaft werden durch die Mehrwertkonzentration markiert. Diese ist Ausdruck wachsender Vergesellschaftung des Kapitals. Dieser Vergesell schaftung unterliegt auch die Presseproduktion. Sie ist unterdessen in die Phase der Monopolisierung eingetreten. Das schließt, wie in der Volks wirtschaft insgesamt, die meist mühselige Fortexistenz minder vergesell schafteter Produktionsformen - wie gleichzeitig solcher der Konsumtion und Rezeption - nicht aus. Die Gleichzeitigkeit verschieden vollkomme ner Vergesellschaftungsformen von Produktion und Rezeption bildet die charakteristische Plattform der Gruppen und Meinungskämpfe sowohl
Die Zeitungspresse als Produkt und als Produzent 51 der Produktions- wie der politischen und weltanschaulichen Gruppie rungen, die jene in sich spiegeln, auf dem Untergrund des Hauptant agonismus zwischen Kapital und Lohnarbeit. Von diesen vordergründig sichtbaren Antagonismen mehr, als von dem Hauptantagonismus, der gerade durch jene verschleiert wird, sind die bürgerlichen Parteien, das Sammelsurium der Verbände und wie immer organisierten Interessenten, ist vor allem die Presse das treue Erscheinungsbild. Ohne Mühe lassen die Pressen sich einteilen nach diesen Gruppierungen in der bestehen den Gesellschaft ֊ den unmittelbar wie den mittelbar wirtschaftlichen, also politischen. Unterscheidbar werden Partei- und Verbandspressen, Honoratiorenpresse, Konsortien- oder Aktionärspresse, Mittelstands und Bauernpresse und vorab Pressen für die Massen der unmittelbar Lohnabhängigen und alle zusammen. Es ist in der Logik des Produkti onsprozesses gelegen, dass der Massenpresse, proportional der wachsend monopolistischen Produktionsart und der zunehmenden Größe der lohn abhängigen Massen, ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Anteil in der Presseproduktion zuwächst - vorausgesetzt, die Pressepro duktion geschieht selbst nach wachsend monopolistischen Prinzipien, also nach radikal fungiblen und ressortteiligen, „parzellierenden“13 wie Schneider es nennt, im Sinne sowohl des durchrationalisierten und die Zweige assoziierenden Mammutbetriebs, wie in dem radikal verding lichter, ab ovo gesinnungsloser literarischer Produktion. Sie hat Adorno auf den Begriff gebracht:
„Längst handelt es sich nicht mehr um den bloßen Verkauf“ literarischer Arbeitskraft, sondern „[uļnterm Apriori der Verkäuflichkeit“ hat der Produzent längst „sich selber zum Ding gemacht, zur Equipierung“14. Nicht mehr nur die Produktionskraft, sondern ihr Inhaber selbst wird wie ein Apparat bedient, vor allem: be dient wie ein Apparat sich selber. Das erklärt die innere Zensur. Er ist auf den deformierten Produzenten im technischen Arbeitsprozess als den charakteristischen Konsumenten, den unmündig gehaltenen Leser, ge- 13 Michael Schneider und Eckhard Siepmann: Der Spiegel oder die Nachricht als Ware. Voltaire Flug schriften 18, Frankftirt am Main 1968, S. 5 f. - Cf. überhaupt die Passagen über die Entfaltung des Presse-Monopolismus, S. 26 f. 14 Theodor W. Adorno: Minima Moralia. Reflexionen аш dem beschädigten Leben, Frankfurt am Main 1951, Aphorismus 147, S. 444 f.
52 Kultur wissermaßen zugeschnitten. Einer deformierten Rezeption und einem denaturierten Denken gibt der in der Presseproduktion progredierteste, also disponibelste Journalist die exakt kalkulierte Nahrung ֊ die hier einzig assimilierbare Ware, den nach der Rezeptur von chaotischer Information, präfabrizierter Meinung, politischer Stereotypie gefertigten Lesestoff.15 Dieser Sto ff ist Gift und unerlässliche Nahrung in einem: Gift aller möglichen Kritik und Gesinnung, also gerade unerlässliche Nahrung für die Existenz, die den bestehenden Zustand unangetastet lässt, weiter einübt und befestigt. Die Macht einer Presse, die so progrediert produ ziert wie der Monopolismus selber ist, wird in Deutschland durch die Springer-Presse ausgedrückt, die, wie der Konzentrationsprozess die Ver gesellschaftung in der Industrie vorantreibt, so die Vergesellschaftung in der Kulturindustrie,16 hier der „Bewußtseinsindustrie“17. Wie in der ers ten Republik der Hugenberg’sche Konzern dem faschistischen Etatismus zuarbeitete, so in der zweiten Republik monopolistische Formationen von der Art der Springer sehen tendenziell einem Zustand, in dem mög licher glatterer und perfekterer Diktatur die Wege geebnet wären. Bilden auch die übrigen Pressen, vorab die ökonomisch potenteren, zusamt dem an ihnen orientierten Publikum, den besseren, wenn auch nicht immer bessergestellten Leuten, ein gewisses Widerstandspotential gegen die mo nopolistische Presse, so sind sie tendenziell dieser ausgeliefert oder schon unterworfen, im gleichen Maß, wie der Vergesellschaftungsprozess selber progrediert. Aber
die Frontenbildung ist paradox: die progressive Presseproduktion ist unablösbar von der Regression des Produzierens wie der Konsu mierenden selber, während der technisch rückständigeren, soliden bis gesinnungsstrengeren Presseproduktion gerade in ihrer ökonomischen Obsoletheit, der privatkapitalistischen ֊ oder gar genossenschaftsarti- 15 Cf. Helmut Arntzen: „Das homogene Chaos“, in: Frankfurter Runcbchau Nr. 276, 28.11.1970, Beilage „Zeit und Bild“, S. IV, Spalte 5. 16 Deren Physiognomie haben Horkheimer und Adorno entfaltet in: Diakktik derAufklärung. Phi losophische Fragmente, Amsterdam 1947, S. 144 ff. 17 Den Terminus prägte Enzensberger. Die Sache selbst ist entwickelt in: „Bewußtseins-Industrie“, in: Hans Magnus Enzensberger, Einzelheiten, Frankfort am Main 1962, S. 8 ff. - Cf. auch die uner schrockenen und bedeutenden Analysen, denen Enzensberget die verschiedenen Medien unterzog; in: 1. c., Teil 1.
Die Zeitungspresse als Produkt und als Produzent 53 gen - Produktionsweise ein bestimmtes Maß an legitimer oder halb legitimer Fortschrittlichkeit zuwächst; so wie solider, talentierter, ja kritisch-kämpferischer Journalismus nach Art dessen in noch funktio nierenden Demokratien oder dessen etwa im deutschen Vormärz, soweit er von monopolistischer Presse nicht schon wahllos eingekauft und verschluckt ist, sein Unterkommen in liberaler oder anderer Konsorti enpresse, oder in privatkapitalistisch-genossenschaftlichen Mischformen, findet. Aber auch das muss im Angesicht des ökonomischen Gesamtpro zesses als prekär und ephemer erscheinen, wie lange auch Windstillen, relativ befriedete Phasen, in diesem Prozess andauern mögen, und wie entscheidend gerade in der verspäteten deutschen Nation Herstellung au thentisch liberaler und kritischer Publizität vonnöten bleibt.18 Nicht zu vergessen ist, dass eine der gegenwärtigen Funktionen des kapitalistischen Mehrwerts nicht bloß seine - allerdings entscheidende ֊ variable, inves tie ist, sondern auch der Teil seiner konstanten, der abgezweigt wird, um Produzenten wenigstens ein gewisses Maß an autonom produktivem Überwintern zu belassen. Aber auch das hängt nicht vom guten Wil len mäzenatenartiger Kapitaleigner allein, sondern wesentlich von der ökonomischen Gesamträson selber ab, die in der Regel wissenschafts-, kunst- und kritikfreundlich nur so weit ist, wie Wissenschaft, Kunst und Kritik systemerhaltend und nicht systemsprengend fungieren, wie also ihr Selbstwert auf Tauschwert, auf Fungibilität und Instrumentalität
reduzierbar ist. 18 Habermas sieht sie zwar im entschiedenen Streit „mit der zu manipulativen Zwecken bloß ver anstalteten“: aber „die Durchsetzung der sozialstaatlich gebotenen Öffentlichkeit des politischen Machtvollzugs und Machtausgleichs gegenüber jener zu Zwecken der Akklamation bloß hergestell ten ist keineswegs gewiß“ (Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Neuwied und Berlin 1968, S. 256).
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